Dieses Fotoobjekt (Originalgröße 20 x 25 cm, auf Pappe montiert) wurde im Fotoarchiv in der Box mit der Aufschrift „Byzantinisch Griechenland Orte M-Z Kleinasien, Türkei etc.“ wo es offenbar irgendwann aus Verlegenheit landete. Denn byzantinische Kunst auf dem Gebiet des ehemaligen byzantinischen Reiches (=Griechenland, Türkei, Kleinasien) ist hier nicht zu sehen. Stattdessen eine durchaus westeuropäisch anmutende Stadtstraße mit einer dichtgedrängten – westlich gekleideten – Volksmenge. Die einzigen beiden auf den „Orient“ verweisenden Bildelemente ist der Name des Hotels „Hotel d’Orient“ links und die türkische Beflaggung.

Die französische Bildunterschrift informiert, es handele sich bei der Szene um die „Retour de l’Eglise de L.L. M.M. L’Empereur et l’Imperatrice d’Allemagne“, aufgenommen auf der „Grand Rue de Péra“. In der rechten unteren Ecke ist der Fotograf vermerkt: G. Berggren.

Mit diesem Wissen entdeckt der Betrachter nun auch die Kutsche mit dem Kaiserpaar (unterhalb der Hotelaufschrift), dicht umringt von enthusiastischen Fans. Doch wann und vor allem WO fand dieser Besuch statt? Und WO ist die byzantinische Kunst? Ein Blick zu Wikipedia klärt rasch auf, dass es sich bei Péra (Pera), heute Beyoğlu, um die alte Bezeichnung eines Stadtteils von Konstantinopel (Istanbul) handelt. Der Stadtteil war durch Bauten, Straßenbahn und auch die Bewohner westlich geprägt, was die Fotografie gut zum Ausdruck bringt. Die Grand Rue – die Hauptstraße – trägt heute den Namen Istikli Caddesi. In Pera befand sich die Deutsche Botschaft. Das Deutsche Kaiserreich unterhielt enge diplomatische und freundschaftliche Beziehungen zum Osmanischen Reich, und Kaiser Wilhelm II. besuchte die Stadt dreimal: 1889, 1898 und 1917. Im I. Weltkrieg gehörte das Osmanische Reich denn auch zu den deutschen Bündnispartnern.

Bei G. Berggren handelt es sich um den schwedischen Fotografen Guillaume Berggren, der in der „Grand Rue“ ein Fotogeschäft betrieb und insbesondere den Alltag in Istanbul und offizielle Ereignisse auf Platte bannte – ein „social photographer“ also. (Mehr Informationen auf Wikipedia). Auf welcher der beiden ersten Reisen des Kaiserpaares Berggren diese Aufnahme machte, geht aus der Fotografie nicht hervor.

Auch wann und wie das nicht weiter beschriftete oder bestempelte Fotoobjekt, das keine Inventarnummer und keine Signatur trägt, in den Bestand des Fotoarchivs des Kunstgeschichtlichen Seminars gelangte, ist unbekannt. Die byzantinische Kunst, mit der das Kaiserpaar auf seiner Reise ja durchaus in Kontakt kam, kann lediglich imaginiert werden, indem sich der Betrachter auf die Spuren der Reise begibt.