Dieses Fotoobjekt aus unserer Fotografiensammlung zeigt einen sepiafarbenen Abzug, der auf den Teil eines alten Fahrplanes der Hamburger Hochbahn geklebt wurde, um ihn zu stabilisieren. Gleich drei Stempel füllen die Plätze zwischen den Fahrzeiten der Bahn: zunächst der Provenienzsstempel mit rechteckigem Rahmen „Schenkung Stettiner-Weiss-Gottschewski“, dann darüber sehr blaß der älteste Eigentumsstempel des Seminars, und prominent links der runde Seminarstempel aus den 1950er Jahren. Schon diese Äußerlichkeiten verraten eine frühe Eingliederung in unseren Bestand, bald nach Gründung des Seminars zu Beginn der 1920er Jahre.

Der Bildgehalt erschließt sich nicht leicht. Eine ältere Person, in lange Gewänder gehüllt, isst von einem Teller, den sie geradezu schützend festhält, als habe sie Angst, jemand könnte das Essen stehlen. Der Hund an der Seite jedoch sitzt völlig ruhig und wirkt eher wie ein Beschützer als ein hungriges Tier, dass es möglicherweise auf einen Bissen abgesehen hat. Der Hintergrund bleibt undefiniert. Die Person blickt überrascht oder besorgt nach rechts oben, wo sich für den Bildbetrachter das dunkle Sepia des Fotos lichtet. Eine sakrale Szene scheint vordergründig nicht dargestellt – der Betrachter kann entscheiden, auf was oder wen die Person schaut. Eine andere Person, ein Ordnungshüter vielleicht, dem der oder die Arme im Weg sitzt, weil sie das Bild stört? Ein Heiliger oder Jesus Christus, der kommt, um Trost und Hilfe zu geben oder gar an das Lebensende mahnt?

Ebenso unklar war offenbar die Urheberschaft des Gemäldes. Erwin Panofsky (erkenntlich am Schriftbild) versah das neu in die Sammlung gekommene Fotoobjekt mit der Unterschrift „spanischer Meister, angeblich…“ wobei das angeblich unausgefüllt bleibt. Der Hinweis daneben verortet das fragliche Gemälde in „Hamburg, Sammlung Wedells“. Siegfried Wedells war ein Kaufmann und bedeutender Kunstsammler jüdischer Herkunft (Mehr auf Wikipedia). Zahlreiche Fotoobjekte aus der „Stiftung Haus Wedells“ wurden dem Kunstgeschichtlichen Seminar 1922 überlassen – der Grundstock des Fotoarchivs.

Doch zurück zum Künstler selbst! Eine spätere Hand füllte die von Panofsky gelassene Lücke mit „Murillo“ aus. Eine weitere Hand (vermutlich die Seminarassistentin Helene Münscher) vermerkte „nach: Mahlzeit der alten Frau. München, Sammlung Carstanjen“). Adolf von Carstanjen war ein Kölner Sammler des 19. Jahrhunderts, dessen Sammlung 1910 nach München an die Alte Pinakothek kam. Erst 1935 kaufte die Stadt Köln die Sammlung (weitgehend) auf. Sie befindet sich heute im Walraff-Richartz-Museum.

In der Tat befindet sich in dieser Sammlung ein Gemälde Murillos mit einer fast identischen Szene, bei dem sich jedoch links von der Person mit dem Teller ein lachender Junge befindet, der den Betrachter direkt anschaut:

Doch bei dem Gemälde, das die Vorlage für unser Fotoobjekt lieferte, fehlt der Junge und damit öffnet sich die Fantasie des Betrachters. Dieses Gemälde befindet sich heute in der Hamburger Kunsthalle >Link< und die Zuschreibung an Murillo scheint unbestritten.