Dieses nur sehr rudimentär beschriftete Fotoobjekt in der Sammlung des Fotoarchivs ließ uns auf eine spannende, filmreife Geschichte stoßen. Ein erster Verdacht, es könnte sich um einen Teil des Genter Altars handeln, bestätigte sich: in der Tat zeigt dieses sepiafarbige Foto ein Detail des linken Innenflügels des berühmten Werkes mit der Abbildung der „Gerechten Richter“:

Über diese Information froh, sollte unser Fotoobjekt seine Beschriftung erhalten, inventarisiert und wieder in seine Box gebettet werden. Jedoch… es fiel auf, dass auf der Version der Datenbanken und Wikipedia einer der Reiter anders dargestellt ist als auf unserem Fotoobjekt: die Pelzkrempe des Hutes des zweiten Reiters von vorn ragt auf dem alten Foto über das halbe Gesicht des dahinter reitenden Mannes mit dem Hermelinkragen:

Eine absurde Fotoretusche?! Aber wieso? Weiteres Graben im Internet förderten zutage, dass das heute sichtbare Gemälde auf dem linken Innenflügel eine Kopie ist, die erst 1945 von Jef van der Veken fertig gestellt wurde. Er nutzte NICHT etwa die Fotos des Originals, die wohl kurz um 1910 von dem Stoedtnerschen Lichtbildinstitut aus Berlin angefertigt wurden. Der Altar befand sich 1820 bis 1920 nämlich in Berlin, und nicht in seiner ursprünglichen Heimat, der Kathedrale. (Hier mehr Informationen zu einer diesbezüglichen Ausstellung in Berlin). Van der Veken nahm eine im 16. Jahrhundert durch den flämischen Maler Michiel Coxie hergestellte Kopie zur Grundlage. Auf dieser Kopie ist die Pelzkrempe gestutzt und das Gesicht des Hermelinträgers besser zu erkennen:

Dies ist zwar ästhetisch besser gelungen, allerdings sah das Original nicht so aus. Der Charakter einer fotografischen Momentaufnahme (bei der nicht darauf geachtet werden konnte, ob alle Personen im Bild korrekt positioniert sind und sich nicht überdecken) ging verloren. WARUM Van Eyck sein Gemälde in dieser Weise komponiert hatte, ist zumindest mir allerdings nicht bekannt. Handelt es sich um eine spätere Übermalung, die das Gesicht bewusst verdecken sollte? Immerhin wurden bei der Restaurierung des Gemäldes zahlreiche spätere Übermalungen festgestellt und entfernt. Allerdings war ja dieser Flügel bereits nicht mehr vorhanden und konnte somit auch nicht restauriert werden.

Warum aber musste überhaupt eine Kopie angefertigt werden? Kriegsverlust oder Kriegsbeschädigung waren der erste Gedanke. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Internet gab rasch preis, dass der Altarflügel 1934 unter mysteriösen Umständen gestohlen und niemals wieder aufgefunden wurde. Verschwörungstheorien ranken sich um das Objekt, inklusive Nazis auf Schatzjagd, durch die Kirche gesperrten Dokumenten, und modernster Technik, mit der unterdessen die St. Bavo-Kathedrale in Gent durchleuchtet wurde!

In diesem Artikel des Guardian können Sie mehr dazu lesen.

Die Van Eyck-Legacy-Webseite mit zahlreichen professionellen Detailaufnahmen des Altarwerkes finden Sie hier.